Hans Rott

Thomas Leibnitz
"Lachen Sie nicht, meine Herren ..."


Aktualisiert am
4. März 2018
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mit freundlicher Genehmigung der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien.


"Lachen Sie nicht, meine Herren ..."

Zur Uraufführung des "Pastoralen Vorspiels für Orchester" von Hans Rott

Da es um seinen Lieblingsschüler Hans Rott ging, wurde Anton Bruckner energisch. Carl Hruby berichtet über einen Vorfall am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde im Juli 1878: "Am Schlusse ertönte vom Merkerstuhle - pardon, vom Prüfungstische her - höhnisches Lachen. Da erhob sich der sonst so ängstliche Bruckner und rief den ‚Merkern' da unten die flammenden Worte entgegen: ‚Lachen Sie nicht, meine Herren, von dem Manne werden Sie noch Großes hören!'" Welches Werk Rotts die Herren des Konservatoriums zum Spott reizte, wird in dem Bericht nicht gesagt; es handelte sich - mit großer Wahrscheinlichkeit - um den ersten Satz der E-Dur-Symphonie des jungen Komponisten, eines Werkes, das mehr als hundert Jahre nach seiner Entstehung eine unvermutete Renaissance erlebte und eine breite Öffentlichkeit mit dem bisher so gut wie unbekannten Namen "Rott" konfrontierte.

Anton Bruckners Prophezeiung konnte sich freilich nur zum Teil erfüllen. Als am 25. Juni 1884 der kaum sechsundzwanzigjährige Hans Rott, Patient der niederösterreichischen Landesirrenanstalt, an Tuberkulose starb, gehörten die hochgespannten Hoffnungen und Erwartungen, die seine Freunde in ihn gesetzt hatten, bereits seit geraumer Zeit der Vergangenheit an. Fast vier Jahre lang hatte der tragische Lebensepilog des von den Ärzten aufgegebenen, an "halluzinatorischem Irrsinn und Verfolgungswahn" erkrankten Musikers gedauert, der als Schüler des Konservatoriums die Anerkennung Anton Bruckners, als Komponist die Bewunderung eines kleinen, aber erlesenen Freundeszirkels erregt hatte, eines Kreises, dem während seiner frühen Wiener Jahre auch Gustav Mahler angehörte.

Mit dem Namen Mahler ist das Stichwort gefallen, das die Wiederentdeckung Rotts während der achtziger Jahre unseres Jahrhunderts wesentlich bestimmte. Wieder einmal mußte der Anstoß "von außen" kommen: Der englische Musikwissenschaftler Paul Banks befaßte sich im Zuge seiner archivalischen Studien zur Jugend Gustav Mahlers und dessen Wiener Freundeskreis auch mit Hans Rotts künstlerischem Nachlaß, der sich seit 1950 in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek befindet. Das Manuskript der Symphonie in E-Dur erregte sein Interesse, nicht zuletzt wegen des außergewöhnlichen Lobes, das Gustav Mahler diesem Werk viele Jahre nach dem Tod des Jugendfreundes gegenüber Natalie Bauer-Lechner gezollt hatte: "Was die Musik an ihm verloren hat, ist gar nicht zu ermessen: zu solchem Fluge erhebt sich sein Genius schon in dieser Ersten Symphonie, die er als zwanzigjähriger Jüngling schrieb und die ihn - es ist nicht zu viel gesagt - zum Begründer der neuen Symphonie macht, wie ich sie verstehe. Allerdings ist das, was er wollte, noch nicht ganz erreicht. Es ist, wie wenn einer zu weitestem Wurfe ausholt und, noch ungeschickt, nicht völlig ans Ziel hintrifft. Doch ich weiß, wohin er zielt. Ja, er ist meinem Eigensten so verwandt, daß er und ich mir wie zwei Früchte von demselben Baum erscheinen, die derselbe Boden gezeugt, die gleiche Luft genährt hat. An ihm hätte ich unendlich viel haben können und vielleicht hätten wir zwei zusammen den Inhalt dieser neuen Zeit, die für die Musik anbrach, einigermaßen erschöpft."

Es scheint, daß Mahler zu dieser Zeit - im Sommer 1900 - eine Aufführung der Symphonie ins Auge faßte, zu der es jedoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht kam. Das Werk schlummerte weiterhin in Schubladen und Archiven, bis Paul Banks das Aufführungsmaterial herstellte und die Uraufführung (4. März 1989) in Cincinnati unter Gerhard Samuel initiierte. Das Echo war groß und international; kurze Zeit später konnte man Rotts Symphonie auch in Paris, London und Wien hören. Fast gleichlautend vermerkte die Kritik bei diesem Werk eine Reihe von auffallenden Mahler-Anklängen, besser gesagt -Antizipationen, da die Symphonie viele Jahre vor Mahlers symphonischem Erstling entstanden war. "Mahlers Nullte oder Rotts Erste?" fragte anläßlich der Wiener Erstaufführung durch die Wiener Symphoniker unter Carlos Kalmar am 4. März 1990 Wolfgang Fuhrmann im "Standard" und zog das Resümee: "Unweigerlich drängt sich die Vermutung auf, daß die Studienfreunde Rott und Mahler in engem musikalischen Gedankenaustausch gestanden haben müssen."

Ähnlich dürften die Dinge bei dem Werk liegen, das nun - immerhin bereits 120 Jahre nach seiner Entstehung - seine Uraufführung erleben wird: dem "Pastoralen Vorspiel für Orchester", beendet 1880, also kurz nach Fertigstellung der Ersten Symphonie. Zum "Pastoralen Vorspiel" ist der biographischen Rott-Literatur so gut wie nichts zu entnehmen; umso gespannter darf man sein, ob sich das Phänomen des "vorweggenommenen Mahler" auch in der Klanggestalt dieses Werkes kundtun wird, dessen Partitur aus solchem Blickwinkel einiges verspricht. Vor allem die von Vogellauten und Haltetönen bestimmte Naturszene am Beginn von Mahlers Erster erscheint als Reminiszenz mancher Stellen des "Pastoralen Vorspiels", das - im Gegensatz zur Symphonie - nicht zur Präsentation vor einer Prüfungskommission gedacht war, wodurch der klanglichen und formalen Phantasie des Komponisten keinerlei Schranken auferlegt wurden. Und so drängt sich die Frage auf: Welche Beziehung bestand zwischen Rott und Mahler? Entsprach der musikalischen Verwandtschaft tatsächlich eine Gleichgestimmtheit der Charaktere?

Eine - allerdings äußerst subjektive - Antwort gab Rotts Jugendfreund Heinrich Krzyzanowski, der in seinen schriftlichen Erinnerungen über die Beziehung zu Mahler festhält: "Nebenbei: zwischen Rott und Mahler hat, soviel sie auch beisammen waren, eine richtige Freundschaft nie bestanden ..." Tatsächlich ist auch keine Aussage Rotts überliefert, die auf eine engere Freundschaft mit Mahler hindeutet; auch dürfte sich Mahler aus dem Musiker-Freundeskreis, der sich in den Jahren 1877 und 1878 regelmäßig in Rotts Zimmer im Piaristenkloster traf, nach 1878 zurückgezogen haben. Rotts tragisches Schicksal und der sehr individuelle Gestus seiner Musik scheinen auf den um nur zwei Jahre jüngeren Kollegen aber einen tiefen Eindruck gemacht haben, der - man denke an die Bemerkung gegenüber Natalie Bauer-Lechner - über Jahrzehnte hinweg lebendig blieb und Rott in Mahlers Denken gewissermaßen zu einer Symbolfigur des Scheiterns machte.

Anläufe, enttäuschte Hoffnungen: unter diesem Motto steht Rotts kurzer Lebensweg. Am 1. August 1858 als Sohn des Schauspielers Carl Matthias Rott geboren, absolvierte der Knabe zunächst das Akademische Gymnasium und zwei Jahre einer Handelslehranstalt. Erst dann dürfte ihm die Berufung zur Musik klar geworden sein; ab 1874 studierte er am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde (Orgel bei Bruckner, Harmonielehre bei Grädener, Komposition bei Krenn). Wagner, der Abgott des Bruckner-Kreises, zog auch ihn in seinen Bann: 1875 trat Rott dem Wiener akademischen Wagner-Verein bei, 1876 besuchte er die ersten Bayreuther Festspiele. Während der folgenden zwei Jahre war er - unter sehr kärglichen Lebensverhältnissen - Organist des Josefstädter Kirchenmusikvereins und lebte im Piaristenkloster. Die Organistenstelle gab er 1878 auf, im gleichen Jahr beendete er seine Studien am Konservatorium, und nun begann eine zweijährige, von wiederholten Mißerfolgen bestimmte Suche nach einer festen Anstellung.

Seine Unterhandlungen mit St. Florian und Klosterneuburg blieben ebenso vergeblich wie seine Bewerbungen an der Michaeler- und Votivkirche in Wien. Bruckner half mit Empfehlungsschreiben; eines blieb im Rott-Nachlaß erhalten: "Es gereicht Gefertigtem zum großen Vergnügen, konstatieren zu können, daß er an Herrn Hans Rott während dessen Studienjahre am Conservatorium einen Kunstjünger kennenlernte, der vermöge seines ganz vorzüglichen Talentes, Fleißes und sittlich reinen Charakters sowohl, wie nicht weniger durch damals schon gediegene Kunstleistungen auf musikalischem Gebiete, und besonders auf der Orgel zu bedeutenden Hoffnungen berechtigte."

Gefühlsbetonte Ortsgebundenheit und eine Liebesbeziehung fesselten Rott an Wien, doch immer klarer erwies es sich, daß er hier keine Zukunft hatte. Allerdings waren die Jahre bis 1880 bei aller Sorge um das materielle Überleben auch eine schöpferische Phase; nicht nur die Symphonie in E-Dur entstand in diesem Zeitraum, sondern auch - parallel dazu - das "Pastorale Vorspiel" und das (kompositorisch höchst avancierte) Streichquartett in c-Moll. Rott bewarb sich um den Beethoven-Preis und das Staatsstipendium für Musiker und reichte 1880 die Symphonie und das "Pastorale Vorspiel" im Unterrichtsministerium ein, weiters schienen ihm Besuche bei den Mitgliedern der Preiskommission angebracht, der auch Johannes Brahms angehörte. Der Besuch bei Brahms dürfte für den jungen Komponisten, dessen hochgradige Nervosität bereits eine psychische Krise ankündigte, ein traumatisches Erlebnis gewesen sein. Brahms habe sich, wie Rott danach seinen Freunden berichtete, schroff ablehnend über die Symphonie geäußert und hinzugefügt, "das könne er unmöglich selbst gemacht haben".

Eine schwere Belastung bedeutete für Rott zudem der bevorstehende Abschied von Wien, denn eine halbherzig abgegebene Bewerbung um die Position des Leiters der elsässischen Chorvereinigung "Concordia" hatte Erfolg gehabt; Rott mußte die Stellung antreten und reiste Ende Oktober 1880 von Wien ab. Im Zug kam es zur Katastrophe. Rott bedrohte einen Mitreisenden, der sich eine Zigarre anzünden wollte, mit dem Revolver: Brahms habe den Zug mit Dynamit füllen lassen. Er wurde nach Wien zurückgebracht und in die Psychiatrische Klinik des Allgemeinen Krankenhauses eingewiesen. Den Rest seines kurzen, tragischen Lebens verbrachte er hinter den Mauern psychiatrischer Anstalten.

Es mag zynisch anmuten, ein solches Lebensschicksal im Rückblick als "interessanter" zu klassifizieren als eine wohlgeordnete, "normale" Biographie. Sicherlich rechtfertigt es nicht eo ipso das Interesse an den hinterlassenen Kompositionen; diese müssen sich im Konzertbetrieb durch ihre eigenen, immanenten Qualitäten legitimieren. Die Symphonie in E-Dur hat die Prüfung durch die Öffentlichkeit bereits bestanden, dem "Pastoralen Vorspiel" steht sie noch bevor. Sicherlich läßt sich einiges aufgrund der Partitur über das Werk sagen: daß es als breit angelegtes Crescendo konzipiert ist, sich in ein Präludium und eine Fuge gliedert, kammermusikalisch-raffinierte Instrumentation zeigt und Zeugnis für die kontrapunktische Phantasie seines Schöpfers ablegt. Doch erst das reale Klangereignis wird erweisen, ob das Eigentliche gelungen ist. Und das wäre die Entdeckung eines Werkes, das uns als unmittelbares musikalisches Erlebnis begegnet, nicht nur im Sinne einer späten "Ehrenrettung" Hans Rotts.

Weitere Informationen über die "Internationale Hans Rott Gesellschaft" finden Sie unter: http://www.hans-rott.de/ ; www.hans-rott.org

Thomas Leibnitz

Dr. Thomas Leibnitz ist Bibliothekar an der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien.

Freitag, 18. Februar 2000
RSO-Wien
Programm


Internationale Hans Rott Gesellschaft