Die Entdeckung des Komponisten Hans Rott ist zu Recht
als "die musikwissenschaftliche Sensation der
1990er Jahre"1
bezeichnet worden. Insbesondere seine erst vor zwei
Jahrzehnten wieder aufgefundene und 1989 uraufgeführte
einzige vollendete Symphonie erregte Aufsehen, weist
sie doch vielfältige Parallelen zur Symphonik von Rotts
Studienfreund Gustav Mahler auf und antizipiert somit
wesentliche Elemente eines symphonischen Stils, als
dessen Urheber bislang ausschließlich Mahler galt. Thematische,
harmonische, und strukturelle Konvergenzen mit Mahlers
zweiter, dritter und fünfter Symphonie sind nachgewiesen
worden.2
Hans Rott wurde am 1. August 1858 in Wien geboren;
nach Privatunterricht, Gymnasium und einem zweijährigen
Intermezzo an einer Handelsschule bezieht er zum Wintersemester
1874/75 das Wiener Konservatorium; seine Lehrer sind
u. a. Hermann Grädener, Franz Krenn und Anton Bruckner.
Sein Abschlussdiplom erhält er im August 1878. Neben
vielfältigen Plänen, Skizzen und Entwürfen entstehen
in Rotts Konservatoriumszeit abgeschlossene Kompositionen,
eine Symphonie für Streichorchester (Nr. 37;
1874/75)3,
Lieder, ein Orchestervorspiel (Nr. 32; 1876),
ein Vorspiel zu Julius Caesar (Nr. 40; 1877)
und eine zweisätzige Orchestersuite (Nr. 33;
1878).
Der früheste Hinweis auf die E-Dur Symphonie findet
sich im Brief Rotts an seinen Freund Heinrich Krzyzanowski
vom 6. Mai 1878:
"Das nun mich zunächst in Beschlag nehmende ist der
bevorstehende Jahresabschluß im Conservatorium, für
den ich noch nichts fertig habe; die Partitur des
zweiten Satzes einer Suite für Orchester werde ich
bald vollendet haben und hiedurch wäre ich für die
Prüfung, welche am 27. Mai stattfindet gedeckt; was
die für den allfälligen Concurs in Angriff genommene
Symphonie anbelangt, so bin ich bei derselben über
das Hauptthema noch nicht hinausgekommen. [...] umsomehr
aber setze ich alles an die Erreichung der Abfertigung
durch meine Symphonie, welche von meiner 500 fl-Begeisterung
kraftvoll strotzen wird."4
Der Kompositions-Abschluss am Wiener Konservatorium
bestand in einer Kompositionsprüfung, die für den 27.
Mai angesetzt war, und für die Rott eine Suite für Orchester5
einzureichen gedachte, und einem Kompositionswettbewerb,
von Rott "Concurs" genannt, für den er eine Symphonie
"in Angriff" genommen hatte, und dessen erfolgreiche
Absolvierung ihm die stolze Summe von 500 Gulden (fl
= Florentiner Gulden) einbringen sollte. Rott stand
unter erheblichem Zeitdruck, wie er dem gleichen Freund
am 18. Mai berichtet; gleichzeitig erwähnt er genauere
Details über den Zusammenhang von Kompositionsprüfung
und "Concurs":
"Was mich anbelangt, so bin ich in einem gedrückten
Zustand, doch gedrückt in des Wortes flachster, eckelhaftester
Bedeutung. Montag den 27. dM ist Composizionsprüfung,
wozu ich Dienstag (gleich Rudolf [sc. Krzyzanowski;
Bruder des Adressaten]) die erste Probe halten soll.
Morgen Sonntag kommt der Copist und ich habe kaum
die Hälfte meiner Stimmen abgeschrieben daher der
größere Teil für heute Nacht entfällt. Du begreifst
hiemit vollkommen meine Gedrücktheit; doch nimmt sie
einen ernsten Charakter an, wenn Du folgendes erfärst,
das ich für weiter unten mir aufgespart - Obgenannte
Prüfung dürfte heuer ganz schmählich ausfallen nach
dem Prognosticon, das Hellmesberger gestellt. Er gedenkt
nämlich jedes Prüfungsstück nur einmal durchspielen
zu lassen, sind über 6 Fehler darin enthalten wird
die Partitur der hochlöbl. Prüfungscomißion vorgelegt.
Überdiß soll strenge auf diesem Wege vorgegangen werden,
um nur die besten zum Concurse zuzulassen. Rudolf
bringt zur Prüfung opus aeternum "Zacconi" und zum
Concurse Symphonie 1. Satz. Meins hängt noch in der
Luft."6
Wir erfahren, dass Rott kaum 10 Tage vor dem Prüfungstermin
am 27. Mai damit beschäftigt ist, die Stimmen seiner
Suite auszuschreiben, des weiteren, dass er einen Kopisten
für Sonntag, den 19. Mai, bestellt hat, und dass die
erste Probe auf Dienstag, den 21. Mai, festgelegt ist.
Offensichtlich will Rott die Stimmen fertig kopiert
haben, bevor der Kopist kommt; diesem obliegt also entweder
die Aufgabe, weitere Duplikatstimmen oder eine Reinschrift
der Partitur zu erstellen. Darüber hinaus teilt Rott
mit, dass zum "Concurs" nur zugelassen wird, wer zu
den "besten" gehört, also die Prüfung erfolgreich bestanden
hat. Anders als sein Studienkollege Rudolf Krzyzanowski
hängt Rotts Beitrag zum "Concurs" noch "in der Luft";
so jedenfalls lässt sich das "meins" im letzten zitierten
Satz nur beziehen, da Rott seinen Beitrag für die Prüfung
am 27. Mai, die Suite für Orchester, fertig komponiert
hat und nun mit der Abschrift beschäftigt ist. Er ist
also mit seinem Symphoniesatz noch nicht weiter gekommen.
Drei Tage nach der Prüfung, am 30. Mai, teilt Rott dem
Freund deren Ergebnis mit und berichtet über die weitere
Verfahrensweise:
"Ich war bis jetzt und bin teilweise noch in dem
eckelhaften Prüfungstrubel befangen aus dem ich bis
nach dem Concurse mich kaum werde retten können. Am
1. Juni Prüfung der Geschichte der Musik und am 15.
Juni aus Literaturgeschichte. Das Prüfungsergebnis
[sc.: vom 27. Mai] ist ein schmäliches gewesen, wir
wurden nämlich, mit Rücksicht auf den Umstand, daß
wir alle als Schüler des 2. Jahrganges absolviren
samt und sonders zum Concurs zugelassen. Bei meinem
Prüfungsstücke bestach hauptsächlich der Umstand,
daß ich die ‚Wagnerei' aufgegeben, wofür ich mit der
Concurs-Licenz belohnt wurde! Mein Symphoniesatz ist
noch immer nicht nur einen Schritt weiter gediehen
als bei meinem letzten Schreiben. Ich denke das Thema
überhaupt für eine außerconcursiale Composition aufzuheben
und einen ‚feurigeren' Satz, als der zu werden verspricht,
zu schreiben, da mir Krenn bereits gesagt hat, ich
solle das Thema kürzen. Wenns in der Art, wie bis
jetzt, weiterget, so werde ich weder etwas ‚feuriges'
noch was anderes fertig bringen [...]. Doch muß ich
all mein Augenmerk auf den Concurs richten können,
wegen der Abfertigung."7
Die Prüfung hatte er erfolgreich bestanden, wenn auch
mit dem Wermutstropfen, dass alle Prüflinge für den
"Concurs" zugelassen wurden, und das auch noch aus dem
formalen Grunde, dass alle im gleichen Jahrgang das
Konservatorium zu absolvieren gedachten! Sein Selbstbewusstsein
als Komponist war erwacht, der "Concurs" nun nicht mehr
das einzige Ziel, das er mit der Komposition der projektierten
Symphonie erreichen wollte. Die Bedenken seines Kompositions-Professors
Franz Krenn bestärkten ihn nur in der Absicht, eine
‚feurigere' Komposition zu schreiben, was wohl so zu
interpretieren ist, dass Rott die engen Regeln akademischen
Komponierens glaubte hinter sich lassen zu können, angesichts
der (in Früh- und Endfassung identischen) Ausmaße des
Hauptthemas von 28 Takten allerdings kein verwunderlicher
Vorsatz. Aus praktischen Gründen behält er den "Concurs"
dennoch fest im Auge; offensichtlich ist er in Geldnot
und hofft auf die "Abfertigung", die Auszahlung der
letzten Rate seines Stipendiums, die offenbar an die
Bedingung geknüpft war, dass Rott sein Studium am Konservatorium
erfolgreich beendet.
Zum 2. Teil
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