Im Juni 1878 schweigt der Briefwechsel mit Heinrich
Krzyzanowski; Rott muss in der Folge jedoch schnell
gearbeitet haben, denn er vermerkt am 7. Juni in seinem
Tagebuch: "Entwurf zur Symphonie. beenden."8
Einen Tag später erneut: "Symfonie." Am 10. Juni dann
die Erfolgsmeldung, das entscheidende Wort doppelt unterstrichen:
"Symphonie fertig."9
Der Konkurs fand am 2. Juli 1878 statt. In den drei
Wochen bis zu diesem Datum hatte Rott mit der Stimmenerstellung
alle Hände voll zu tun. Jedoch scheint er auch am Werk
selbst noch weiter gearbeitet zu haben (s. u.).
Bei dem Wettbewerb hatten "fremde [sc.: nicht dem Lehrkörper
des Konservatoriums angehörende] Personen nach einmaligem
Hören über die Leistungen der Schüler zu entscheiden".10
Nicht eben günstige Bedingungen für die Beurteilung
eines Werkes, das wegen zu großer Ambition schon im
Vorfeld die Kritik eines akademischen Lehrers auf sich
gezogen hatte. Die Prüfung war dann auch für Rott ein
Fiasko; eine in der Bruckner-Biographik überlieferte
Anekdote11
unterrichtet über ihren Verlauf:
"Wie Bruckner erzählte, schrieb Rott zur Reifeprüfung
einen Symphoniesatz. Dieser erschien aber der engherzigen
Zunft, die damals am Prüfungstische saß und für welche
R. Wagner noch der Marat in der Musik war, als zu
‚wagnerisch'! Am Schlusse ertönte vom Merkerstuhle
- pardon, vom Prüfungstische her - höhnisches Lachen.
Da erhob sich der sonst so ängstliche Bruckner und
rief den ‚Merkern' da unten die flammenden Worte entgegen:
‚Lachen Sie nicht, meine Herren, von dem Manne
werden sie noch Großes hören!'"12
Es spricht für den Wahrheitsgehalt der Anekdote, dass
ihr Übermittler zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (1901)
noch nichts von dem posthumen Ruhm des Bruckner-Schützlings
ahnen konnte, dass es sich hier mithin nicht um eine
jener Anekdoten handeln kann, die ihrem Protagonisten
nachträglich prophetische Gaben zuschreiben. Wie dem
auch sei, als einziges der sieben eingereichten Stücke
errang Rotts Symphoniesatz trotz Bruckners engagierter
Verteidigung keinen Preis.13
Rott selbst reagiert auf eine für ihn typische Weise:
Er schweigt sich in dem ab Juli wieder fließenden Briefverkehr
mit Heinrich Krzyzanowski über das unangenehme Ereignis
aus. Lediglich einige kryptische Andeutungen in dem
mutmaßlich frühesten dieser Briefe lassen darauf schließen,
welche Kränkung die Ablehnung seines Werkes für Rott
bedeutet haben muss:
"Endlich ist es mir möglich, soviel Zeit zu erübrigen,
Dir einige Zeilen zukommen zu lassen, wozu es mich
schon so lange gedrängt, nicht etwa, daß ich Dir besonders
wichtiges zu sagen hätte, sondern diesmal nur, um
Dir überhaupt zu schreiben. Ich unterlaße es, Dir
die Gründe auseinanderzusetzen, aus denen ich so lange
nichts von mir hören gelaßen, Du kennst sie und ihre
simple, leider wichtige Natur."14
Dennoch scheint ihn der Misserfolg längerfristig nicht
beeindruckt zu haben, wozu beigetragen haben mag, dass
er am 20. August nach einigen Querelen15
mit der für die Auszahlung zuständigen "Statthalterei"
seine "Abfertigung" in Form von 500 fl. erhielt, wie
er in seinem Tagebuch vermerkt16;
einen einmonatigen Aufenthalt bei seinen Freunden Rudolf
und Heinrich Krzyzanoswki in Eger vom 22. August17
bis zum 21. oder 22. September 187818
nutzt er offensichtlich dazu, mit der Konzeption des
zweiten Satzes im Klavierauszug zu beginnen: Eine nahezu
den ganzen Satz umfassende Skizze des zweiten Satzes19
ist auf der dritten Seite - sie skizziert die T. 65-107
in einer Gestalt, die der Endfassung bereits sehr nahe
kommt - mit "Wien, am 30. September 1878"20
datiert; Rott hatte also nicht einmal zwei Monate nach
seiner Niederlage beim "Concurs" schon zwei Drittel
des zweiten Satzes skizziert. In der Folge scheint er
aber das Tempo der Komposition verlangsamt zu haben;
ein weiteres Skizzenblatt aus demselben Konvolut, das
den Choral am Schluss des Satzes (die späteren T. 120-123,
T. 129-145, sowie einstimmig noch einmal T. 121-124)
skizziert, trägt das Datum "25. 5[?]. 79." oder einfach
"1879"21.
Ist der Abschluss der Skizzen zum zweiten Satz dergestalt
nicht genau zu datieren, so geben die Skizzenblätter
zum Scherzo und Finale, die weitgehend bereits den Verlauf
der autographen Partitur wiedergeben, genauere Auskunft:
das Scherzo wurde während des Sommeraufenthaltes 1879
in Neustift am Walde zwischen dem 3. Juli und dem 13.
September im Klavierauszug entworfen22,
und die Skizzen zum Finale am 21. August 1879 begonnen.
Das nächste datierte Blatt, von Rott als Seite 7 paginiert,
bringt T. 205-223 des endgültigen Finale sowie in einer
gestrichenen Frühfassung die ersten beiden Takte der
Wiederaufnahme des Chorals (T. 224-225) und trägt das
Datum 5. Oktober 1879. Das Titelblatt der Skizzen zum
Finale hat Rott mehrfach datiert; einmal wird dort der
Abschluss der Skizzierung angegeben: "Neustift am Walde
30 [Monat fehlt] concipiert 1879"23.
Da Rott sich lediglich in den Sommermonaten in Neustift
aufzuhalten pflegte und mutmaßlich spätestens im November
1879 wieder in Wien war, da andrerseits das Scherzo
am 13. September abgeschlossen, das Finale aber im Oktober
noch in Arbeit war, soll hier bei aller gebotenen Vorsicht
vermutet werden, dass die gesamte Symphonie im Klavierauszug
Ende Oktober 1879 fertig vorlag. Dem Freundeskreis um
Rott war das Werk jedenfalls bekannt; Heinrich Krzyzanowski
berichtet in seinen 1925 für die geplante Rott-Biographie
von Maja Loehr verfassten Erinnerungen an jene Zeitspanne,
die er mit "zwischen 79-80 schwebend"24
näher bestimmt:
"Wichtiger als all dies war jedoch die Tatsache,
daß R. in dieser Zeit eine große Symphonie geschaffen
hatte, groß erstens dem Umfange und zweitens der Bedeutung
nach, wenn man die Stimmen der Freunde hörte, zu denen
in diesem Falle auch die der Berufgenossen zählten,
nur daß die letzteren in ihrem Urteil etwas collegialischer,
dh zurückhaltender waren als die anderen. Für diese
stand die überragende Größe des Werkes außer jedem
Zweifel und diese Wertung übertrug sich nun allmählich
auch auf Rott [...]. Eine Atmosphäre der Andacht umgab
die Symphonie und ihren Schöpfer, seine Symphonie
wurde ‚die Symphonie' schlechthin [...]."25
Den Landaufenthalt im Sommer 1880 - seit dem 3. Juni
weilt Rott in Ober-Salmannsdorf26
und ab spätestens dem 24. Juli bei seinem Freund und
Mäzen Joseph Seemüller in Glashütte27
- nutzt er zur Instrumentierung und Ausarbeitung der
Partitur. Wie im Juni 1878 ist er in Eile und arbeitet
in fieberhafter Hast, wie einem Brief an seinen Freund
Friedrich Löwi/Löhr28
vom 26. Juli 1880, der auch Auskunft über den Stand
der Arbeit gibt, zu entnehmen ist:
"Trage das Scherzo (so weit ich es bis zum Abenden
[sic] fertig bringe) gleich nach Empfang zu Geier.
Ist das Finale schon fertig? Wie steht es mit dem
1. Satze? Die Copiatur muß alles zusammen bis Freitag
Nachmittags spätestens fertig sein. Saphier soll Dir
die Quartett Partitur bringen. Ebenso laß' den Sänger
und die Rattenfaenger-Ballade nochmals abschreiben,
allein ist letzteres nicht so nötig, wenn nur die
Symphonie sauber und pünctlich abgeliefert wird. Die
Adagio-Partitur nebst den Liedern und dem Gesuch bringe
ich mit. John soll das Zeugnis vom Conservatorium
(Composition) bereit halten [...]."29
Wir erfahren, dass sich 1. Satz und Finale zu diesem
Zeitpunkt beim Kopisten Ferdinand Geyer befinden, und
zwar offenbar bereits seit längerer Zeit, sonst würde
sich Rott nicht nach dem Stand der Kopiatur erkundigen
können. Dazu passt, dass sich auf dem oben erwähnten
Titelblatt zu den Final-Skizzen die Angabe "Instrumentiert
Am 26. VI. 1880. Ober Salmannsdorf"30
befindet. Die "Adagio-Partitur", damit kann nach Lage
der Dinge nur die Reinschrift des 2. Satzes der Symphonie
gemeint sein, gedenkt Rott selbst mit nach Wien zu nehmen;
sie war also zum Zeitpunkt, als Kopfsatz und Finale
dem Kopisten übergeben wurden, noch nicht fertig und
ist mithin wahrscheinlich kurz vor Abfassung des Briefes
abgeschlossen worden. Die Partitur des Scherzo schließlich
ist noch in Arbeit und gelangt abschnittsweise zum Kopisten.
Der Abschluss scheint indes unmittelbar bevor zu stehen.
Gleichzeitig ist von einem "Gesuch" die Rede, für das
der Bruder des Adressaten, John Leo Löwi, Rotts Abschlusszeugnis
bereit halten solle. Nun wissen wir aus einem zwischen
Juni und August 1880 verfassten, eigenhändigen Werkverzeichnis
Rotts, das sich auf der Rückseite einer Skizze zum Finale
der Symphonie befindet31
, dass Rott die Symphonie "in Partitur" für ein "Staatsstipendium"
und "in Partitur und Stimmen" zum "Beethoven
Concurs"32
einzureichen plant. Der Termin zur Einreichung einer
Bewerbung für den vom Wiener Konservatorium alljährlich
ausgerichteten Beethoven-Preis ist laut Rott der 30.
September33;
er kann folglich für Rotts Eile nicht verantwortlich
gemacht werden. Bleibt die Bewerbung um das "Staatsstipendium",
ein vom österreichischen Unterrichtsministerium ausgeschriebener
Wettbewerb, hinsichtlich dessen Maja Loehr zu berichten
weiß, dass Rott neben seinem Pastoralen Vorspiel
auch die Partitur der 1. Symphonie im August 1880 im
zuständigen Ministerium eingereicht hatte34.
Bei dem von Rott als Fertigstellungstermin anvisierten
Freitag handelt es sich um den 30. Juli 1880; mutmaßlich
plante Rott, das Werk in der ersten Augustwoche selbst
im Ministerium abzugeben, denn Rott kündigt im weiteren
Verlauf des Briefes an Friedrich Löwi/Löhr seine Ankunft
in Wien für eben diesen Freitag an35.
Bis zu diesem Zeitpunkt, glaubt er mithin, könnten Reinschrift
und Kopie der Partitur abgeschlossen sein. Als Datum
der Fertigstellung der gesamten Symphonie ist folglich
Ende Juli 1880 anzunehmen. Danach nahm Rott allerdings
noch Änderungen an der Instrumentation vor; am 09. September
schreibt er an Joseph Seemüller:
"Die große Hörner Passage im Finale gestrichen; würde
im Tempo hemmen; der Choral tritt reiner heraus und
das Brausen besorgen die Streicher hinlänglich. Ebenso
einige Sordinen weggelassen. Pichler machte mich darauf
aufmerksam und ich sah ein, daß er Recht habe; er
kam gestern nach Wien, um mich zu sehen. Wir waren
allein bei mir beisammen; ich spielte ihm auf sein
Ansuchen die Symphonie vor, er las mit; er war hoch
erfreut und lobte vor Allem die Form [...]."36
Ähnliches erfährt Freund Friedrich Löwi/Löhr einen
Tag später:
"Also am Mittwoch fuhr ich auf die Südbahn, erwartete
Pichler, er war hocherfreut [...] dann giengen wir
zu mir; ich mußte ihm die ganze Symphonie vorspielen
und er las in der Partitur mit; er sagte mir so viel
Schönes darüber, daß ich eine Freude hatte, da ich
weiß, daß er nicht falsch ist und kein schlechter
Kern in ihm liegt; einige Winke in Bezug auf die Instrumentation
kamen mir nach eigener Überlegung sehr zu Statten."37
In der autographen Partitur sind jedoch keine nachträglichen
Korrekturen der Instrumentation zu finden; entweder
hat sich Rott doch eines Anderen besonnen und die Änderungen
nicht vorgenommen, oder er besaß eine weitere, heute
verlorene Abschrift der Partitur, in die er die Korrekturen
eintrug.
Zum 3. Teil
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