Bert Hagels
Zur Entstehung der Symphonie Nr. 1 E-Dur

(2. Teil)


Aktualisiert am
4. März 2018
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Im Juni 1878 schweigt der Briefwechsel mit Heinrich Krzyzanowski; Rott muss in der Folge jedoch schnell gearbeitet haben, denn er vermerkt am 7. Juni in seinem Tagebuch: "Entwurf zur Symphonie. beenden."8 Einen Tag später erneut: "Symfonie." Am 10. Juni dann die Erfolgsmeldung, das entscheidende Wort doppelt unterstrichen: "Symphonie fertig."9 Der Konkurs fand am 2. Juli 1878 statt. In den drei Wochen bis zu diesem Datum hatte Rott mit der Stimmenerstellung alle Hände voll zu tun. Jedoch scheint er auch am Werk selbst noch weiter gearbeitet zu haben (s. u.).

Bei dem Wettbewerb hatten "fremde [sc.: nicht dem Lehrkörper des Konservatoriums angehörende] Personen nach einmaligem Hören über die Leistungen der Schüler zu entscheiden".10 Nicht eben günstige Bedingungen für die Beurteilung eines Werkes, das wegen zu großer Ambition schon im Vorfeld die Kritik eines akademischen Lehrers auf sich gezogen hatte. Die Prüfung war dann auch für Rott ein Fiasko; eine in der Bruckner-Biographik überlieferte Anekdote11 unterrichtet über ihren Verlauf:

"Wie Bruckner erzählte, schrieb Rott zur Reifeprüfung einen Symphoniesatz. Dieser erschien aber der engherzigen Zunft, die damals am Prüfungstische saß und für welche R. Wagner noch der Marat in der Musik war, als zu ‚wagnerisch'! Am Schlusse ertönte vom Merkerstuhle - pardon, vom Prüfungstische her - höhnisches Lachen. Da erhob sich der sonst so ängstliche Bruckner und rief den ‚Merkern' da unten die flammenden Worte entgegen: ‚Lachen Sie nicht, meine Herren, von dem Manne werden sie noch Großes hören!'"12

Es spricht für den Wahrheitsgehalt der Anekdote, dass ihr Übermittler zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (1901) noch nichts von dem posthumen Ruhm des Bruckner-Schützlings ahnen konnte, dass es sich hier mithin nicht um eine jener Anekdoten handeln kann, die ihrem Protagonisten nachträglich prophetische Gaben zuschreiben. Wie dem auch sei, als einziges der sieben eingereichten Stücke errang Rotts Symphoniesatz trotz Bruckners engagierter Verteidigung keinen Preis.13 Rott selbst reagiert auf eine für ihn typische Weise: Er schweigt sich in dem ab Juli wieder fließenden Briefverkehr mit Heinrich Krzyzanowski über das unangenehme Ereignis aus. Lediglich einige kryptische Andeutungen in dem mutmaßlich frühesten dieser Briefe lassen darauf schließen, welche Kränkung die Ablehnung seines Werkes für Rott bedeutet haben muss:

"Endlich ist es mir möglich, soviel Zeit zu erübrigen, Dir einige Zeilen zukommen zu lassen, wozu es mich schon so lange gedrängt, nicht etwa, daß ich Dir besonders wichtiges zu sagen hätte, sondern diesmal nur, um Dir überhaupt zu schreiben. Ich unterlaße es, Dir die Gründe auseinanderzusetzen, aus denen ich so lange nichts von mir hören gelaßen, Du kennst sie und ihre simple, leider wichtige Natur."14

Dennoch scheint ihn der Misserfolg längerfristig nicht beeindruckt zu haben, wozu beigetragen haben mag, dass er am 20. August nach einigen Querelen15 mit der für die Auszahlung zuständigen "Statthalterei" seine "Abfertigung" in Form von 500 fl. erhielt, wie er in seinem Tagebuch vermerkt16; einen einmonatigen Aufenthalt bei seinen Freunden Rudolf und Heinrich Krzyzanoswki in Eger vom 22. August17 bis zum 21. oder 22. September 187818 nutzt er offensichtlich dazu, mit der Konzeption des zweiten Satzes im Klavierauszug zu beginnen: Eine nahezu den ganzen Satz umfassende Skizze des zweiten Satzes19 ist auf der dritten Seite - sie skizziert die T. 65-107 in einer Gestalt, die der Endfassung bereits sehr nahe kommt - mit "Wien, am 30. September 1878"20 datiert; Rott hatte also nicht einmal zwei Monate nach seiner Niederlage beim "Concurs" schon zwei Drittel des zweiten Satzes skizziert. In der Folge scheint er aber das Tempo der Komposition verlangsamt zu haben; ein weiteres Skizzenblatt aus demselben Konvolut, das den Choral am Schluss des Satzes (die späteren T. 120-123, T. 129-145, sowie einstimmig noch einmal T. 121-124) skizziert, trägt das Datum "25. 5[?]. 79." oder einfach "1879"21. Ist der Abschluss der Skizzen zum zweiten Satz dergestalt nicht genau zu datieren, so geben die Skizzenblätter zum Scherzo und Finale, die weitgehend bereits den Verlauf der autographen Partitur wiedergeben, genauere Auskunft: das Scherzo wurde während des Sommeraufenthaltes 1879 in Neustift am Walde zwischen dem 3. Juli und dem 13. September im Klavierauszug entworfen22, und die Skizzen zum Finale am 21. August 1879 begonnen. Das nächste datierte Blatt, von Rott als Seite 7 paginiert, bringt T. 205-223 des endgültigen Finale sowie in einer gestrichenen Frühfassung die ersten beiden Takte der Wiederaufnahme des Chorals (T. 224-225) und trägt das Datum 5. Oktober 1879. Das Titelblatt der Skizzen zum Finale hat Rott mehrfach datiert; einmal wird dort der Abschluss der Skizzierung angegeben: "Neustift am Walde 30 [Monat fehlt] concipiert 1879"23. Da Rott sich lediglich in den Sommermonaten in Neustift aufzuhalten pflegte und mutmaßlich spätestens im November 1879 wieder in Wien war, da andrerseits das Scherzo am 13. September abgeschlossen, das Finale aber im Oktober noch in Arbeit war, soll hier bei aller gebotenen Vorsicht vermutet werden, dass die gesamte Symphonie im Klavierauszug Ende Oktober 1879 fertig vorlag. Dem Freundeskreis um Rott war das Werk jedenfalls bekannt; Heinrich Krzyzanowski berichtet in seinen 1925 für die geplante Rott-Biographie von Maja Loehr verfassten Erinnerungen an jene Zeitspanne, die er mit "zwischen 79-80 schwebend"24 näher bestimmt:

"Wichtiger als all dies war jedoch die Tatsache, daß R. in dieser Zeit eine große Symphonie geschaffen hatte, groß erstens dem Umfange und zweitens der Bedeutung nach, wenn man die Stimmen der Freunde hörte, zu denen in diesem Falle auch die der Berufgenossen zählten, nur daß die letzteren in ihrem Urteil etwas collegialischer, dh zurückhaltender waren als die anderen. Für diese stand die überragende Größe des Werkes außer jedem Zweifel und diese Wertung übertrug sich nun allmählich auch auf Rott [...]. Eine Atmosphäre der Andacht umgab die Symphonie und ihren Schöpfer, seine Symphonie wurde ‚die Symphonie' schlechthin [...]."25

Den Landaufenthalt im Sommer 1880 - seit dem 3. Juni weilt Rott in Ober-Salmannsdorf26 und ab spätestens dem 24. Juli bei seinem Freund und Mäzen Joseph Seemüller in Glashütte27 - nutzt er zur Instrumentierung und Ausarbeitung der Partitur. Wie im Juni 1878 ist er in Eile und arbeitet in fieberhafter Hast, wie einem Brief an seinen Freund Friedrich Löwi/Löhr28 vom 26. Juli 1880, der auch Auskunft über den Stand der Arbeit gibt, zu entnehmen ist:

"Trage das Scherzo (so weit ich es bis zum Abenden [sic] fertig bringe) gleich nach Empfang zu Geier. Ist das Finale schon fertig? Wie steht es mit dem 1. Satze? Die Copiatur muß alles zusammen bis Freitag Nachmittags spätestens fertig sein. Saphier soll Dir die Quartett Partitur bringen. Ebenso laß' den Sänger und die Rattenfaenger-Ballade nochmals abschreiben, allein ist letzteres nicht so nötig, wenn nur die Symphonie sauber und pünctlich abgeliefert wird. Die Adagio-Partitur nebst den Liedern und dem Gesuch bringe ich mit. John soll das Zeugnis vom Conservatorium (Composition) bereit halten [...]."29

Wir erfahren, dass sich 1. Satz und Finale zu diesem Zeitpunkt beim Kopisten Ferdinand Geyer befinden, und zwar offenbar bereits seit längerer Zeit, sonst würde sich Rott nicht nach dem Stand der Kopiatur erkundigen können. Dazu passt, dass sich auf dem oben erwähnten Titelblatt zu den Final-Skizzen die Angabe "Instrumentiert Am 26. VI. 1880. Ober Salmannsdorf"30 befindet. Die "Adagio-Partitur", damit kann nach Lage der Dinge nur die Reinschrift des 2. Satzes der Symphonie gemeint sein, gedenkt Rott selbst mit nach Wien zu nehmen; sie war also zum Zeitpunkt, als Kopfsatz und Finale dem Kopisten übergeben wurden, noch nicht fertig und ist mithin wahrscheinlich kurz vor Abfassung des Briefes abgeschlossen worden. Die Partitur des Scherzo schließlich ist noch in Arbeit und gelangt abschnittsweise zum Kopisten. Der Abschluss scheint indes unmittelbar bevor zu stehen. Gleichzeitig ist von einem "Gesuch" die Rede, für das der Bruder des Adressaten, John Leo Löwi, Rotts Abschlusszeugnis bereit halten solle. Nun wissen wir aus einem zwischen Juni und August 1880 verfassten, eigenhändigen Werkverzeichnis Rotts, das sich auf der Rückseite einer Skizze zum Finale der Symphonie befindet31 , dass Rott die Symphonie "in Partitur" für ein "Staatsstipendium" und "in Partitur und Stimmen" zum "Beethoven Concurs"32 einzureichen plant. Der Termin zur Einreichung einer Bewerbung für den vom Wiener Konservatorium alljährlich ausgerichteten Beethoven-Preis ist laut Rott der 30. September33; er kann folglich für Rotts Eile nicht verantwortlich gemacht werden. Bleibt die Bewerbung um das "Staatsstipendium", ein vom österreichischen Unterrichtsministerium ausgeschriebener Wettbewerb, hinsichtlich dessen Maja Loehr zu berichten weiß, dass Rott neben seinem Pastoralen Vorspiel auch die Partitur der 1. Symphonie im August 1880 im zuständigen Ministerium eingereicht hatte34. Bei dem von Rott als Fertigstellungstermin anvisierten Freitag handelt es sich um den 30. Juli 1880; mutmaßlich plante Rott, das Werk in der ersten Augustwoche selbst im Ministerium abzugeben, denn Rott kündigt im weiteren Verlauf des Briefes an Friedrich Löwi/Löhr seine Ankunft in Wien für eben diesen Freitag an35. Bis zu diesem Zeitpunkt, glaubt er mithin, könnten Reinschrift und Kopie der Partitur abgeschlossen sein. Als Datum der Fertigstellung der gesamten Symphonie ist folglich Ende Juli 1880 anzunehmen. Danach nahm Rott allerdings noch Änderungen an der Instrumentation vor; am 09. September schreibt er an Joseph Seemüller:

"Die große Hörner Passage im Finale gestrichen; würde im Tempo hemmen; der Choral tritt reiner heraus und das Brausen besorgen die Streicher hinlänglich. Ebenso einige Sordinen weggelassen. Pichler machte mich darauf aufmerksam und ich sah ein, daß er Recht habe; er kam gestern nach Wien, um mich zu sehen. Wir waren allein bei mir beisammen; ich spielte ihm auf sein Ansuchen die Symphonie vor, er las mit; er war hoch erfreut und lobte vor Allem die Form [...]."36

Ähnliches erfährt Freund Friedrich Löwi/Löhr einen Tag später:

"Also am Mittwoch fuhr ich auf die Südbahn, erwartete Pichler, er war hocherfreut [...] dann giengen wir zu mir; ich mußte ihm die ganze Symphonie vorspielen und er las in der Partitur mit; er sagte mir so viel Schönes darüber, daß ich eine Freude hatte, da ich weiß, daß er nicht falsch ist und kein schlechter Kern in ihm liegt; einige Winke in Bezug auf die Instrumentation kamen mir nach eigener Überlegung sehr zu Statten."37

In der autographen Partitur sind jedoch keine nachträglichen Korrekturen der Instrumentation zu finden; entweder hat sich Rott doch eines Anderen besonnen und die Änderungen nicht vorgenommen, oder er besaß eine weitere, heute verlorene Abschrift der Partitur, in die er die Korrekturen eintrug.

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